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Transparent: Kritisches Denken braucht Zeit und Raum

Pressemitteilung des AStA zur Abschaffung des WissZeitVG

22.03.2023

AStA Frankfurt fordert: Abschaffung des WissZeitVG! Ausreichende Grundfinanzierung für Universitäten jetzt!

Am 17.03.2022 hat das FDP-geführte Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein Eckpunktepapier zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) vorgelegt. Die Erwartungen waren bereits niedrig, und doch ist überraschend, wie weit die Vorschläge an den Bedürfnissen der Beschäftigten und den Realitäten universitärer Lehre und Forschung vorbeigehen. Seit langem ist bekannt, dass das WissZeitVG unter dem Deckmantel des Arbeitnehmer:innenschutzes de facto die Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen im Wissenschaftsbetrieb vorantreibt. Anstatt diesem Problem entgegenzuwirken, treibt das Papier diese Tendenz auf die Spitze. Die Umsetzung der Vorschläge würde Arbeitnehmer:innen nicht schützen, sondern hätte verheerende Konsequenzen – nicht nur für Beschäftigte, sondern auch für Studierende und Promovierende.

Laut BMBF ist das Papier in einem sog. „Stakeholderprozess“ zustandekommen, an dem „die wichtigsten Akteure der Wissenschaftslandschaft“ beteiligt gewesen seien. Das Ergebnis dieses Prozesses zeigt, dass derartige Floskeln letztlich nur verdecken sollen, was dennoch offensichtlich bleibt: Mit denjenigen, die am härtesten von der Umsetzung des Papiers betroffen wären – nämlich befristet Beschäftigten und Studierenden –, wurde entweder gar nicht gesprochen oder ihre Interessen und Vorschläge wurden gänzlich ignoriert. Diese mangelnde Legitimation zeigt sich nicht zuletzt an der überwältigenden Ablehnung, auf die die Pläne bereits in den ersten Tagen nach ihrer Veröffentlichung gestoßen sind.

Seit der Einführung des WissZeitVG 2007 hat sich deutlich gezeigt, dass das vorgebliche Ziel, Universitäten zur Entfristung zu „motivieren“, aufgrund der strukturellen Unterfinanzierung von Hochschulen nicht erreicht werden kann. Denn so lange Universitäten keine finanziellen Mittel zur Entfristung zur Verfügung stehen, wird nach Ablauf der maximalen Befristungsdauer nicht entfristet, sondern entlassen. Was es daher braucht, ist keine Senkung der maximalen Befristungsdauer, sondern mehr Geld für Universitäten, damit Beschäftigten langfristige Perspektiven und würdige Arbeitsbedingungen geboten werden können. Hätten Universitäten diese Mittel, gäbe es die gegenwärtig gängige Befristungspraxis nicht. Es bräuchte dann auch kein WissZeitVG. Der AStA der Goethe-Universität fordert daher: Abschaffung des WissZeitVG! Ausreichende Grundfinanzierung für Universitäten jetzt!

Dass diese Forderungen unerlässlich für ein angemessenes Funktionieren des Lehr- und Forschungsbetriebs sind, lässt sich mit Blick auf die unterschiedlichen Betroffenengruppen erläutern: (1) Studierende und studentische Hilfskräfte, (2) Promovierende und (3) Post-Docs.

 

(1) Studierende und studentische Hilfskräfte

Für Studierende ergibt sich aus den Vorschlägen eine weitere Verschlechterung ihrer Studienbedingungen. Denn wenn die Belastung von Promovierenden und Post-Docs, die einen wichtigen Teil der Lehre stemmen, weiter steigt, wird die Qualität der Lehre unvermeidlich darunter leiden. Hinzu kommt, dass frühere Entlassungen von Beschäftigten dazu führen, dass Studierende mit Blick auf Abschlussarbeiten und sonstige Prüfungen noch schwieriger Betreuungsverhältnisse planen können. Schon jetzt kommt es vor, dass es Studierenden nicht möglich ist, Feedback auf Studienarbeiten zu erhalten, weil die betreffende Lehrperson plötzlich nicht mehr an der Universität beschäftigt ist. Dieser Missstand würde durch die Umsetzung der Vorschläge weiter verschärft. Gute Lehre braucht nicht weniger, sondern mehr Kontinuität.

Mit Blick auf studentische Hilfskräfte betreibt das Papier Augenwischerei. Denn der Vorschlag, die Mindestvertragslaufzeit für studentische Beschäftigte nur auf ein Jahr zu setzen, ist unzureichend. Hilfskräfte befinden sich durch Kettenbefristungen in permanenter Unsicherheit über ihre Fortbeschäftigung, was zu einer enormen Abhängigkeit von Vorgesetzten führt. Die kürzlich erschienene Studie „Jung, akademisch, prekär“ hat die hochgradig prekären Arbeitsbedingungen studentischer Hilfskräfte nochmals vor Augen geführt und gezeigt, wie hier grundlegende Arbeitnehmer:innen-Rechte systematisch unterlaufen werden: Unbezahlte Mehrarbeit oder nicht gewährter Urlaubsanspruch sind längst die Regel. Eine Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr wird am katastrophalen Status quo nichts ändern – vor allem, da die Umsetzung nur als Soll-Vorschrift geplant ist, Universitäten diese also weiterhin umgehen können.

 

(2) Promovierende

Die Abfassung einer Dissertation dauert im deutschen Durchschnitt 5,7 Jahre, was nicht zuletzt daran liegt, dass auch Themenfindung und Verteidigung langwierige und anspruchsvolle Prozesse sind. Während der Promotionszeit sind die Promovierenden sowohl an der universitären Selbstverwaltung als auch an der Lehre beteiligt. Diese Arbeit ist für Promovierende unabdinglich, wenn sie nach der Promotion die Chance auf eine Anstellung haben wollen. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass die Universität auf diese Arbeit angewiesen ist. Darum ist unverständlich, warum die in dem Papier vorgesehenen Mindestvertragslaufzeiten von zwei Mal 3 Jahren erstens eine unverbindliche Soll-Regelung bleiben und warum zweitens nicht verbindliche Vertragslaufzeiten auf 6 Jahre festgelegt werden. Dies würde den Promovierenden genau die „Sicherheit“ geben, die der Reformvorschlag zu liefern beansprucht. Eine zweimalige Anstellung über drei Jahre kann jedoch – insbesondere, wenn eine der beiden Anstellungen in einem drittmittelgeförderten Forschungsprojekt erfolgt – dazu führen, dass sich der Arbeits- und Forschungsschwerpunkt der Promovierenden verschiebt, was eine Neuausrichtung der Promotion und eine weitere Verlängerung des Prozesses zur Folge haben kann. Was es also braucht, sind längere Vertragslaufzeiten bei angemessenen Arbeitsbedingungen – dazu findet sich im Papier jedoch nichts Verbindliches.

 

(3) Post-Docs

Besonders drastisch sind die Änderungen, die die Befristungsdauer für Post-Docs betreffen. Hierzu sieht das Papier eine Verkürzung der Beschäftigungszeit nach der Promotion auf drei Jahre und eine entsprechende Absenkung der Höchstbefristungsdauer von 12 auf 9 Jahre vor. In einem unterfinanzierten Wissenschaftssystem hat eine solche Absenkung katastrophale Folgen für die betroffenen Wissenschaftler:innen: Es bedeutet faktisch ein Berufsverbot für Post-Docs, das in dieser Form in keinem anderen Berufsfeld besteht. Das Problem trifft dabei besonders die Sozial- und Geisteswissenschaften, da dort weitgehend die Mittel für entfristete Stellen fehlen.

Inakzeptabel sind die Konsequenzen zudem für das akademische Kerngeschäft – die Lehre und Ausbildung Studierender. Bereits jetzt sind Forschung und Lehre nur schwer vereinbar, müssen sich doch wissenschaftliche Mitarbeitende auch auf Post-Doc-Stellen weiter qualifizieren, Drittmittel einwerben und Bücher und Artikel publizieren, um die geringe Chance auf eine Stelle im Anschluss zu wahren. Die Einheit und Vereinbarkeit von Forschung und Lehre, eine Leitidee der Universität, gerät durch die Vorschläge nun noch stärker unter Beschuss.

Auch mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fehlen konkrete Vorschläge. Ohne ein Konzept für mehr Dauerstellen führt die Absenkung der Höchstbefristungsdauer zu mehr Unsicherheit in der Lebensplanung und läuft gleichstellungspolitischen Zielsetzungen entgegen, sinkt doch bereits jetzt der Frauenanteil in der Post-Doc-Phase rapide ab. Es ist notwendig, anzuerkennen, dass Forschende als Mütter, Väter und in der Pflege von Angehörigen Care-Arbeit leisten. Hierfür braucht es unterstützende Konzepte und nicht weitere Hürden.

Die durch Unterfinanzierung erzeugte Knappheit soll durch die Beschäftigten nicht skandalisiert, sondern durch ein System permanenter Bewährung auf die eigenen Schultern genommen werden, indem sie sich durch den Konkurrenzdruck zum Verzicht auf grundlegende Arbeitnehmer:innenrechte und zu massiver unterbezahlter Mehrarbeit nötigen lassen. Dieser Druck wird legitimiert durch eine Überdehnung des Begriffs der Qualifikation: Selbst eine erfolgreich abgeschlossene Promotion qualifiziert demnach nicht etwa zur wissenschaftlichen Arbeit selbst, sondern bloß wieder zu weiterer Qualifikation. Die diesem System zugrundeliegende Annahme, eine solche Prekarisierung führe zu mehr Innovation, hat sich in der akademischen Praxis längst als falsch erwiesen. Sie zwingt Forschende vielmehr in eine hektische Hyperproduktivität, die nicht der Logik der Forschung selbst, sondern vor allem den Zwängen der Karrieresicherung folgt. Das Resultat ist eine durch Veröffentlichungsdruck erzeugte Überflutung des Publikationsmarktes, auf dem immer schlechter Innovatives von Redundantem unterschieden werden kann. Wissenschaftliches Arbeiten lässt sich keinem abstrakten ökonomischen Produktivitätsmaß unterwerfen, ohne es zu untergraben.

Wir wenden uns entschieden gegen den Versuch des BMBF, neue Realitäten zu schaffen. Wir unterstützen dagegen die von Gewerkschaften und Initiativen wie der NGAWiss seit langem geforderte Einführung von Stellenmodellen mit Entfristungsperspektive auf Mittelbauebene. Hierzu gilt es, den Universitäten eine ausreichende Grundfinanzierung zu sichern, damit diese mehr entfristete Stellen neben und unterhalb der Professur schaffen können. Derzeit werden Haushaltsstellen in der Regel befristet vergeben, obwohl die Mittel dafür auf Dauer gestellt sind. Diese Stellen ließen sich problemlos unbefristet vergeben. Weil dies bei einer gleichbleibenden Anzahl an Stellen allerdings bedeutet, dass weniger Nachwuchswissenschaftler:innen nachrücken können, wäre es hier besonders wichtig, Benachteiligungen und Ausschlüssen entlang der Ungleichheitsachsen classgender und race in den bestehenden Einstellungspolitiken entgegenzuwirken. Das Papier meint, zum grundlegendem Problem der Unterfinanzierung keine Stellung beziehen zu müssen. Zugleich gibt es sich aber den Anschein, im Interesse der betroffenen Wissenschaftler:innen Probleme zu adressieren. Dieses Interesse muss es sich dafür mit einiger sprachlicher Gewaltsamkeit zurechtbiegen: So ist zwar beschwörungsartig von „Planbarkeit“, „Verbindlichkeit“ und auch von „Perspektiven“ die Rede. Der Äußerungskontext beraubt diese Begriffe aber der Substanz: „Planbarkeit“ entsteht so nicht etwa durch langfristige Anstellungssicherheit, sondern dadurch, dass die scheinbar von Natur aus planungsunsichere Karriere im Wissenschaftsbereich einfach rechtzeitig aufgegeben, also das Leben umgeplant wird. Das wäre in derselben Logik auch nicht als Verlust der Perspektive misszuverstehen, sondern vielmehr als Eröffnung einer solchen – nämlich „für alternative Karrieren“. An zynischen Wendungen wie diesen wird deutlich, dass das Interesse prekarisierter Beschäftigter hier keineswegs berücksichtigt, sondern dessen Artikulation unmöglich gemacht werden soll.

 

Ausblick

Nach dem breit getragenen statusgruppenübergreifenden Protest der letzten Tage ließ das BMBF verlautbaren, die Pläne gingen nun zurück in die „Montagehalle“. Es liegt jedoch auf der Hand, dass dies eine Finte ist. Es ist hoffnungslos, an Plänen wie denen, die am 17.03.2023 publik wurden, herumzuschrauben: Sie sind im Ganzen inakzeptabel und sollten als Ganze zurückgezogen werden. Es bedarf keiner weiteren Verwaltung der Missstände durch Gesetze wie das WissZeitVG, sondern einer Behebung dieser Missstände. Dazu muss endlich eine ernsthafte Debatte über das Problem der strukturellen Unterfinanzierung von Hochschulen geführt werden. Die gegenwärtige statusgruppenübergreifende Solidarität bietet hierfür einen guten Ausgangspunkt. Nun wird es darum gehen, sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Nur so kann erreicht werden, was für gute Forschung und Lehre unerlässlich ist: Die ausreichende Grundfinanzierung von Hochschulen und die Abschaffung des WissZeitVG.

 

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