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Transparent: Kritisches Denken braucht Zeit und Raum

Stellungnahme zur Konferenz „Migration steuern, Pluralität gestalten - Herausforderungen und Konzepte von Einwanderungspolitiken“

26.04.2023

Nachdem allein im Jahr 2022 ­­­im Mittelmeer an den Toren der Festung Europas 1940 Personen als vermisst oder verstorben gemeldet wurden (https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/mittelmeer), wird an unserer Universität eine Konferenz veranstaltet, die den Titel „Migration steuern, Pluralität gestalten“ trägt. Schon der Titel zeigt, dass es sich hierbei nicht um eine seriöse wissenschaftliche Konferenz handelt. Denn er suggeriert, Migration sei unkontrolliert, obgleich es faktisch ein historisch beispielloses Grenzregime an den europäischen Außengrenzen gibt, das jedes Jahr zu Tausenden toten und traumatisierten Menschen führt. Migration und Flucht sind in der europäischen Union und insbesondere in der Bundesrepublik stark reglementiert: Migration wird in Deutschland durch bilaterale Abkommen mit verschiedensten Ländern reguliert und mit anderen Ländern durch Anwerbeabkommen angeregt. „Es gibt kaum etwas, das heutzutage so sehr gesteuert wird wie Migration“, sagt Alexander Kern, der zur spanischen Exklave Melilla und Europas Landgrenze mit Afrika promoviert. Diese Tatsache ist zuletzt eindrücklich im von Steffen Mau geleiteten Forschungsprojekt "The Borders of the World" globalgesellschaftlich analysiert worden - eine Perspektive, die auf der Konferenz gänzlich fehlt (https://www.sowi.hu-berlin.de/en/lehrbereiche-en/makro-en/forschung-en/projekte-en/sfb-tp-c01).

Auf der Konferenz soll nun jedoch nicht etwa diskutiert werden, wie Fluchtrouten sicherer gestaltet werden können oder wie ein EU-weiter solidarischer Umgang mit Migration auszusehen hätte. Die Veranstaltung dreht sich vielmehr darum, wie schwierig es doch sei, ein Einwanderungsland zu sein. Diskutiert werden etwa Themen wie „Familienclan und Großfamilien“ oder „Gewalt an deutschen Schulen“. Dazu wurden Personen wie Boris Palmer und Ahmad Mansour eingeladen, die in der Vergangenheit mit extrem problematischen Aussagen aufgefallen sind. Wir finden nicht, dass eine Person wie Boris Palmer, der die Hautfarbe einer Person und ein schlechter Fahrradfahrstil als Indikatoren für Fluchterfahrungen heranzieht – siehe eine von ihm veröffentlichte Facebook-Mitteilung (https://www.fr.de/meinung/boris-palmer-dunkelhaeutige-radfahrer-10995719.html) – einen wissenschaftlich wertvollen Beitrag zu Migration und Pluralität liefern kann. Dieser soll dennoch als krönenden Abschluss der Konferenz ein „Memorandum für eine andere Migrationspolitik“ vorstellen. Ruud Koopmanns, der der auf den Austausch mit der Politik zielenden Konferenz wissenschaftliche Autorität verleihen soll, bescheinigt der Rezensent Roy Karadag mit Blick auf Koopmanns Buch „Das verfallene Haus des Islam“, dieser offenbare „eine erstaunliche Unbelesenheit“; Koopmans scheine selbst "über den aktuellen Stand des deutschen Islamdiskurses unzureichend informiert zu sein – vom englischsprachigen einmal ganz zu schweigen." (https://www.soziopolis.de/hausdurchsuchung.html).

Es handelt sich also eher nicht um eine wissenschaftliche Konferenz, was sich bereits an den gegebenen Hinweisen und der titelgebenden Grundannahme einer vermeintlich ungesteuerten Migration zeigt. Vielmehr reproduziert sich im Slogan "Migration steuern" sowie in vielen Beiträgen der geladenen Redner: innen ein rechtspopulistisch genutztes Bild. Das geplante Schaulaufen der pseudowissenschaftlichen und vom Rechtspopulismus nicht immer scharf abgegrenzten Akteure, dem sogar die dem Linksradikalismus unverdächtigen FAZ attestiert, es entstehe „nicht den Eindruck, dass sich die Redner untereinander in die Haare bekommen könnten“ (https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/susanne-schroeter-weist-vorwurf-des-rechtspopulismus-zurueck-18832157.html), kritisiert der AStA aufs Schärfste. Wir kritisieren zugleich auch die Berufung auf das Phantasma einer vermeintlichen ideologiefreien Wissenschaft, auf das sich die Mitveranstalterin Susanne Schröter bezieht. "In einer neoliberalisierten, drittmittelabhängigen Universität offenbart sich das Gerede von neutraler Wissenschaft als Chimäre“, sagt Emma Scholz, Teil des AStA Vorstandkollektivs.

Prof.in Susanne Schröter ist Erstunterzeichnerin des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit, in dem sich Wissenschaftler: innen dem vermeintlichen Problem der ‚Cancel Culture‘ auf Universitäten angenommen haben, die sich im u.a. in einem angeblichen Zwang zu einer gendergerechten Sprache zeige. In einem Klima, in dem jedoch beispielsweise unabhängiges Forschen zu gewaltvollen Polizeipraktiken gegenstandslos diskreditiert wird (https://empirische-polizeiforschung.de/wp/ueber-uns/) und gesellschaftskritische Forschungsprojekte im Allgemeinen immer seltener genehmigt werden, wünschen wir uns gerade eine echte Würdigung politischer Wissenschaft, die in einen produktiven transdisziplinären Dialog tretend Kritik an Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse entwickeln und formulieren kann. 

Derzeit organisiert der AStA eine Gegenveranstaltung auf dem IG Farben Campus, auf welcher Referent*innen verschiedene wissenschaftliche Beiträge zum Thema Migration leisten werden. Genauere Informationen bezüglich Uhrzeit und Ort werden so schnell wie möglich über unsere Social Media Kanäle sowie die Webseite des AStA bekannt gegeben.