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Regal mit neuen Zeitschriften

Call for Papers: Letzte Generation?

14.02.2023

Call for Papers für die nächste Ausgabe der AStA-Zeitung

I.

„Deutsche Winter sind kalt. Sie sind grau. Sie sind trist.“ – Mit diesen Worten begann der Call for Papers der letzten Ausgabe der AStA-Zeitung. Doch zumindest in Bezug auf die Kälte kommen wir nicht umhin, dieses Urteil zu relativieren. Wir erleben einen der wärmsten Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Extremwetterereignisse nehmen zu. Beides deutliche Zeichen für die sich anbahnende Klimakatastrophe – deren Folgen in anderen Teilen der Welt, insbesondere im globalen Süden, schon längst angekommen sind. Deutsche Winter werden in Zukunft wohl immer seltener kalt sein. Längst wird mehr über „Klimafolgenanpassung“ gestritten als darüber, wie die aktuellen Entwicklungen, die Teile des Planeten unbewohnbar machen könnten, noch zu bremsen sein könnten. Die Ausbeutung von Mensch und Natur geht ungebrochen weiter. Wer sich dieser Ausbeutung entgegenstellt oder auch nur Räume zur Diskussion darüber einfordert, muss damit rechnen – wie in Lützerath oder bei der im Dezember geräumten Hörsaalbesetzung an der Goethe-Universität – Bekanntschaft mit Polizeiknüppeln und anhaltender Repression zu machen.

Während sich also das staatliche Handeln den grundgesetzlich garantierten Schutz der Lebensgrundlagen künftiger Generationen ignoriert und stattdessen die kurzfristigen Interessen des Kapitals mit hohem Aufwand durchsetzen lässt, stellt sich mehr und mehr die Frage, ob die letzte Generation der Menschheit nun näher rückt – oder bereits schon da ist? Kaum absehbar scheint die Verwüstung, die die Klimakatastrophe bringen könnte. Das aktuelle Artensterben zeigt, dass für zahlreiche Spezies die letzte Generation bereits angebrochen ist. Ob das Aussterben der Menschheit tatsächlich ein realistisches Szenario ist, oder ob vielmehr Ressourcenkonflikte und -kriege immer offener zutage treten werden und der globale Norden auf Kosten des globalen Südens seine Vorherrschaft auch unter den Bedingungen eines zunehmend unbewohnbar werdenden Planeten zu sichern vermag, ist noch völlig offen. Alarmismus greift ebenso um sich wie die Gewissheit, etwas tun zu müssen – wobei die Antworten auf die existenzielle Krise unterschiedlicher kaum sein könnten: Marktliberale predigen das Warten auf technische Innovationen, Konsumkritiker*innen fordern individuellen Verzicht, eine Gruppe mit dem programmatischen Namen „Letzte Generation“ klebt sich auf Straßen und wirft Kartoffelbrei auf Gemälde. Alles scheint legitim, um Aufmerksamkeit zu erzeugen im Angesicht der Katastrophe.

Doch die Ausrichtung der Aktionen der „Letzten Generation“ wurde vielfach kritisiert. Zu individualistisch, zu sehr den Logiken der Aufmerksamkeitsökonomie verhaftet, zu wenig vermittelter Inhalt, hieß es dabei häufig. Die politische Rechte antwortete mit einer Hetzkampagne, die mitunter soweit ging, die Klebeaktionen zum „Klimaterrorismus“ zu erklären – was als Verhöhnung aller Opfer von Terrorismus gelten sollte. Inzwischen wird gegen die „Letzte Generation“ mit dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt – auch dieser erstaunliche Verfolgungseifer rief Kritik hervor.

Dass der Kapitalismus dem guten Leben für alle im Wege steht, ist eine Binsenweisheit, die es inzwischen gar in den liberalen Feuilleton geschafft hat. Was kritische Wissenschaften und politische Praxis in dieser Situation zu tun haben, ist damit jedoch noch längst nicht erklärt.

 

II.

Im letzten Jahr konnten wir 20 Jahre IG-Farben-Campus im Westend begehen. Das bedeutet auch: 20 Jahre nur äußerst mangelhafte studentische Räume am Hauptcampus der Goethe-Universität. Dass im neuen Gebäude der Sprach- und Kulturwissenschaften nun gar keine studentischen Cafés und Räume vorgesehen sind (ebenso wenig wie Schwarze Bretter für Aushänge studentischer Interessensgruppen), kommt einem Mittelfinger der Universität an die eigenen Studierenden gleich – ist aber aus Sicht der Uni-Leitung total logisch: Wozu Raum für studentischen Austausch schaffen, geht es im Studium doch schließlich um den Erwerb von Credit Points.

In diesem Jahr könnte nun endlich der erste Spatenstich für das neue Studierendenhaus erfolgen. Auf dem alten Bockenheimer Campus ist wohl inzwischen die letzte Generation an Studierenden unterwegs, die dort studieren.

Der Umzug der Universität ist eng verbunden mit zahlreichen Debatten, die in den vergangenen 20 Jahren in der Studierendenschaft geführt wurden: Um Erinnerungskultur angesichts der historischen Vorbelastung des IG-Farben-Hauses, um studentische selbstverwaltete Räume, darum, was Studieren am neuen Campus bedeutet, um die kalte Schulter, mit der sich der IG-Farben-Campus von dem ihn umgebenden Stadtteil abgrenzt. Diese Debatten sich nicht auserzählt: Ob der Umzug in die neuen Gebäude nun den Übergang vom Fordismus zum Postfordismus an der Universität vollzieht, sei dahingestellt. Doch was bedeutet es, als letzte Generation den Bockenheimer Campus zu bevölkern? Was bedeutet diese Leerstelle eines urbanen Raums, der derzeit immer mehr brachliegt, für uns als Studierende? Und vor allem: Wie kann diese Leerstelle gefüllt werden?

 

III.

Die Frage nach der „Letzten Generation“ lässt sich auch auf denkbar unterschiedliche andere Fragestellungen anwenden: Was bedeutet es, vermeintlich oder tatsächlich zu „den Letzten“ zu gehören? Was bedeutet das damit verschwindende situierte Wissen, die verbleichenden Erfahrungen, was bedeutet es, damit umzugehen, dass alles bald weg sein könnte? Wie gehen wir um mit damit verbundenen Gefühlen von Ohnmacht, Trotz, Angst und Ungewissheit? Und was folgt auf die Letzte Generation?

Dies könnten nur einige der Fragen sein, die sich im Anschluss an den Call stellen. Wir freuen uns auf eure Beiträge!

 

Schickt uns eure Beiträge als offenes Textdokument (Word/OpenOffice, bitte kein PDF!) bis zum 15. März an zeitung [at] asta-frankfurt.de (zeitung[at]asta-frankfurt[dot]de).

 

Eure Redaktion