Kritische Einführungswochen
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„In der anbrechenden Kälte der neuen Weltordnung müsste sich die subversive Theorie ihre geschichtliche Aufgabe aufs Neue aneignen, die darin besteht, immer dann das ganz Andere zu vergegenwärtigen, wenn die Aktualität der Revolution bis aufs weitere suspendiert worden ist. Dann ist die Zeit nicht so sehr der subversiven Aktion als der subversiven Theorie. Die Subversion ist eine Arbeit auf die Revolution hin, sie ist nicht die Revolution selbst – doch ist sie notwendig, um der Revolution behilflich zu sein in der schwierigen Zeit des Überwinterns.“ (1)
- Johannes Agnoli
Deutsche Winter sind kalt. Sie sind grau. Sie sind trist. Und dieses Jahr könnte es noch schlimmer werden. Durch den Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, und den damit zusammenhängenden Wirtschaftssanktionen und Lieferengpässen, steigt nicht nur der Preis von Sonnenblumenöl. In der Politik spricht man mittlerweile von einer kommenden „Energiekrise“. Selbst wenn Gas noch erhältlich ist, wird es bald kaum noch zu bezahlen sein. Bei vielen sind die Mietnebenkosten dadurch bereits um das Dreifache gestiegen. Insgesamt steigen die Lebenshaltungskosten um ein Vielfaches und die Ökonom*innen prophezeien bereits eine kommende Rezession. Die Krise wird vorhergesagt wie ein Schneesturm im Wetterbericht, sie erscheint so unabwendbar, wie das Hereinbrechen einer Naturkatastrophe. Und so schwören uns die ersten Politiker*innen bereits auf den nationalen Zusammenhalt ein: Nur zusammen könnten wir diese schweren Zeiten überstehen.
Eine Preissteigerung ist jedoch kein Naturphänomen. Preise steigen nicht wie Wasser zu Eis gefriert, sondern infolge politischer und ökonomischer Entscheidungen. Dort wo Protest am lautesten ertönt, erblickt man Regression und Verschwörungswahn. Jene, die hinter der Krise nur gierige Eliten oder Volksfeinde erblicken, verfallen demselben Fetisch wie die Nationalökonomen, die mit ihren Theorien der angeblich naturgesetzlichen Warenwelt hinterherjagen.
Dass sich in diesen Zeiten kaum kritische Opposition regt, liegt nicht nur an dem Fehlen einer relevanten Linken Organisation, sondern auch an der zunehmenden Zurückdrängung einer kritischen Theorie der Gesellschaft. Dieses Jahr durften wir mit zusehen, wie an der Goethe Universität die letzte Professur für Psychoanalyse aus dem Fachbereich Psychologie verdrängt wurde. Der Verdrängung von Marx folgt die Verdrängung von Freud. Das ist kein Zufall. Schließlich können die beide als Grundpfeiler der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule gezählt werden. Der Psychoanalyse geht es darum, die inneren Konflikte des Subjekts aufzudecken, die für dessen Leidensdruck ursächlich sind. Die psychische Zurichtung des Einzelnen wurzelt dabei notwendigerweise in dem Bruch zwischen Individuum und Gesellschaft. Die implizite Sozialpsychologie und ihr dialektisches Verständnis von Subjekt und Gesellschaft machten den kritischen Gehalt der Psychoanalyse aus.
Die Verdrängung der Psychoanalyse ist nur ein Beispiel für die Regression der kritischen Bildung aus der Universität. Sie ist gleichsam ein Phänomen der bereits vollzogenen Ökonomisierung und Nutzbarmachung von Bildung und Wissenschaft. Zu Überwintern hieße in diesem Sinne also die radikale Kritik der Gesellschaft unter erschwerten Bedingungen weiterzuführen, auch wenn diese institutionell immer mehr Einengung erfährt. Nur so kann auch die Möglichkeit einer revolutionären Politik erhalten bleiben, die dem Credo treu bleibt:
„Es ist nicht warm, aber es könnte warm sein.“ (2)
- Erich Fried
Mit den kritischen Einführungswochen wollen wir dem Überwintern auf zweierlei Weise zuträglich sein. Sie gilt dem Erhalt einer kritischen Theorie von Gesellschaft, sowie der leichteren Erträglichkeit zunehmender Kälte. In unserem Programm finden sich Veranstaltungen des AStA als auch von externen Gruppen und Initiativen. Schaut am besten auch auf unseren Social-Media-Kanälen vorbei, um Infos über mögliche Programmänderung zu erhalten. Wir freuen uns auf eure Teilnahme!
Eurer AStA FfM
(1) Johannes Agnoli: Subversive Theorie. „Die Sache selbst“ und ihre Geschichte, Freiburg i/B, 1999, S. 226
(2) Erich Fried: Bevor ich sterbe